Begegnung nach Mitternacht
von Igor Warneck
Es war eine der langweiligen Geburtstagspartys, auf die man manchmal eingeladen wird. Mit fortschreitender Stunde wurde die Party immer langweiliger und ich konnte mit den dort geladenen Gästen nichts anfangen. So sagte ich zu meiner Freundin: Ich gehe mal in den nahegelegenen Wald, welchen ich gut kannte und komme in zwei Stunden spätestens wieder.
Es war Winter und sogar in Deutschland lag Schnee. Knirschenden Schrittes, in meinem kleinen Rucksack auf dem Rücken zwei Flaschen Bier, für das Wald-Sitzen, ging ich los. Die Stille des Waldes war schön, wesentlich schöner als die mir nichtssagende Geburtstagsgesellschaft. Ich betrat das Wildgehege, durchschritt das Gatter und nach einiger Zeit hatte ich zwei Hunde an meiner Seite, die jedoch friedlich waren. Irgendwann hörte ich jemanden nach seinen Hunden rufen und mit einer Taschenlampe wild durch die Gegend leuchten. Einen Jäger vermutend, rief ich ihm entgegen: "Jetzt nehmen Sie doch mal ihre Hunde zurück!" was ihm aber nicht gelang. Die Taschenlampe kam näher, weitere zwei Hunde im Schlepp, alle frei laufend.
Nach einem unberechtigten Rüffel: "Was machen Sie denn um diese Uhrzeit im Wald." Und meiner ehrlichen Antwort: "Ich bin auf der Flucht vor einer langweiligen Geburtstagsparty, und was machen Sie hier?" Entspann sich zwischen mir und dem vermeintlichen Jäger eine Unterhaltung über den Wald, seine Ausstrahlung und alles, was mit eben diesem Wald zusammenhing – nach meiner Wahrnehmung. All das wurde von meinem Gegenüber bejaht, was mich sehr verwunderte. Da achtete ich zum ersten Mal darauf, was mich umgab. Vor mir der Lichtkegel der Taschenlampe, mir gegenüber der Jäger und um uns herum in allen vier Himmelsrichtungen sitzend, die Hunde, einer davon auf einem Auge erblindet.
Warum erinnerte mich nun das an Höllenhunde aus der germanischen Mythologie und an eine Szene in welcher Odin am Feuer im Streitgespräch saß … ?
Das mir fremde Verständnis für die Feinheiten des Waldes, welches mir durch den Jäger bestätigt wurde, verwunderte mich und ich wartete insgeheim auf eine Botschaft. Da sagte er zu mir: "Wissen Sie, den größten Fehler, den sie in ihrem Leben gemacht haben, war der, dass sie nie Förster geworden sind." Dieser Satz saß. 100 %. Nur dass er nicht wissen konnte, dass ich das tatsächlich einmal hatte werden wollen, mir jedoch das fehlende Abitur den Weg zu diesem Beruf verleidet hatte.
Nach einiger Zeit verliessen wir gemeinsam das Wildgatter und verabschiedeten uns herzlich. Ich bedankte mich für das tiefe und verständnisvolle Gespräch und freute mich.
Nach einem halben Jahr traf ich den amtierenden Berufsjäger für dieses Waldgebiet und unterhielt mich mit ihm über diese Begegnung. Er schaute mich mit großen Augen an und sagte: "Also, wir haben hier ja schon ziemlich durchgeknallte Leute, aber einen Jäger mit vier Hunden und einem davon, der blind ist, den haben wir sicherlich nicht."
(2009)
Zeichnung: PagePilgrim@troet.cafe 2023