Ein Gegenüber
von Igor Warneck
Oft hab ich's gehört, nie was dazu gesagt: Deine Geschichten, Deine Gedichte, das, was Du schreibst, all das hat so viel Gefühl und Tiefe und wenn ich Dir gegenüber sitze und mit Dir rede, dann ist das alles nicht mehr da.
Wie kann das sein?
Das kann sein, weil ich beim Schreiben mir selbst gegenüber sitze und mein Leben nicht mit einem Menschen teile, der vielleicht danach hungert, diese Gefühle und diese Tiefe zu konsumieren, ohne sie selbst einzubringen. Dann schweigt meine Seele, versiegt mein Geist und spielt lieber die Spiele der Oberflächlichkeit des Gegenübers. Wenn dann doch, durch einen göttlichen Zufall, sich die Tiefe bei beiden Menschen einstellt, dann erwacht meine Seele, startet neu und erfreut sich dessen, was da ist.
Die Blume meiner Seele erblüht, wenn auch nur für einen kurzen Moment, doch um diese zu sehen braucht es immer Zwei.
Manchmal ein sehendes Auge.
... ein bedürftiges Ohr.
... ein offenes Herz.
... auch einfach nur Liebe,
doch die ist ohne Zwei nur schwer zu tragen
– allein versteckt sie sich lieber.
(2008)
Zeichnung: PagePilgrim@troet.cafe 2023