Reiseopfer

von

Als wir die Landesmitte von Italien erreicht hatten und eine Mautstation passierten, stand hinter der Schranke eine wunderschöne, junge und traurige Zigeunerin, um die kleinen Münzen der Vorbeireisenden zu erbetteln.

Aus Faulheit und einer Laune heraus hatten wir auf dieser Reise alles Kleingeld in einen Beutel geworfen und der war mittlerweile ziemlich prall gefüllt.

Ich sah dieses Mädchen, diese junge Frau, diese schöne junge Frau, die trotz der Schmach ihren Stolz noch nicht verloren und noch nicht verkauft hatte. Meine Intention war, gib ihr den Sack voll Münzen – wir waren in diesem Moment nicht darauf angewiesen, doch aus Faulheit oder Schüchternheit wurde nichts aus der Übergabe. Ich ärgerte mich darüber, anschließend, ich ärgerte mich darüber, dass ich nicht die Kraft gehabt hatte anzuhalten und ihr das Geld zu geben, auch nicht den Mut.

In den weiteren Wochen suchte ich nach einer Möglichkeit, den Geldsack erfolgreich unterzubringen, doch keine Chance. Entweder es waren keine "heiligen" Bettler oder es waren einfach keine vor Ort.

 

Schließlich in Siracusa, beim Besuch der "Santuario della Madonna delle Lacrime" (Heiligtum der heiligen Jungfrau der Tränen) bemerkte ich viele Zigeunerinnen, die Gelder einsammelten und ich wusste um den Segen der Reise, welchen sie gerne aussprechen, wenn ihnen jemand Geld gibt, ohne dass sie darum bitten oder in Not sind.

Am nächsten Abend ging ich mit dem Geldsack zu der Kirche und es waren wieder keine Zigeunerinnen da. Ich musste warten.

Endlich, eine begann ihr obligates Schild zu schreiben, da ging ich zu ihr hin, kniete mich neben sie und fragte: Darf ich Dir das geben? 

Sie schaute mich erstaunt an und sagte ja. Ich gab ihr den Sack voller Münzen und sie bedankte sich sehr herzlich.

 

Anschließend packte sie wieder zusammen und zündete für mich eine Kerze an.

Besser hätte ich das Geld nicht anlegen können.

(2009 über eine Reise in 2005)

Zeichnung: PagePilgrim@troet.cafe 2023

Igor Warneck

Igor Warneck

Schreiben gehört seit meinem dreizehnten Lebensjahr zu mir. In der Zwischenzeit habe ich einige Bücher veröffentlicht, dann auch mal die Lust an dem Ganzen verloren und jetzt wiedergefunden.

Fotografie ist für mich das entdecken des Verborgenen, um es für meine Mitmenschen sichtbar und auffindbar zu machen.

Mein Ziel: Kreativität statt Rente – denn von der kann ich als lebenslang Selbständiger nichts erwarten. Dem Sozialstaat will ich nicht zur Last fallen und verzichte daher auf das was mir zustehen würde aus freien Stücken.

Lieber schreibe ich Texte für die Gemeinschaft – zur Unterhaltung, zum Nachdenken und gegen so manch alltäglichen Wahnsinn.

Ein Dasein als Lebenskünstler ist möglich – ich lebe es seit vielen Jahren. Wenn Du das unterstützenswert findest, kannst Du unter dem Link mehr darüber erfahren:

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