Verabredung & Geheimniss

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Unterwegs in Sizilien, in der Gegend von Catania, fanden wir nach dem Tod meines Vaters einen Stellplatz auf einem Weingut. Es war wie nach Hause kommen, denn wir genossen alle Vorzüge: den leckeren Wein, Internetanschluss, Strom und den ersten Schnee in diesem Jahr in Sizilien. Die Götter meinten es gut mit mir, denn auch wenn der Tod meines Vaters mich nicht erschütterte, so hatten die Begleitumstände doch sehr viel Kraft gekostet. Dank der Hilfe einer sehr lieben und tapferen Freundin in Deutschland konnte die Beerdigung dann doch unter Dach und Fach gebracht werden, sonst wäre ich unter der Last der Formalien und des besonderen Charmes von "Beerdigungsinstituten" wohl gänzlich zusammengebrochen. Nun war endlich Pause.

Am Abend der Ankunft hatte der Besitzer des Weingutes Geburtstag und wir waren eingeladen. Es kamen viele Menschen und bald waren wir alle in Gesprächen vertieft. Meine Freundin freute sich etwas zu sehr darüber, dass alle Männer sie interessant fanden, aber das war mir dann auch erstmal egal. Ich wurde gefragt, warum meine Stimmung so gedrückt sei und ich antwortete: "Papa il morte." Mein Vater ist gestorben. Daraufhin lachten alle. So macht man das in Sizilien, denn Männer lassen den Schmerz nicht an sich herankommen, dafür sind die Frauen zuständig. Daraufhin erschien ein großer, ansehnlicher Mann, setzte sich etwas abseits, trank den guten Rotwein und schaute sich die Szenerie sehr aufmerksam an, doch er sprach mit niemandem.

Nach einer Stunde setzte er sich zu mir und begann ein Gespräch. Zu dieser Zeit verstand ich allerdings kaum italienisch und sprach es auch nicht. So musste ich auf meine alte Gabe zurückgreifen, die Gedanken zu lesen und so automatisch für mich ins Deutsche zu übersetzen, oder besser gesagt ins Verstehen. Er konnte das auch und so begannen wir uns zu unterhalten, dabei immer tief in die Augen blickend. Ich redete Englisch, er Italienisch. Passte schon. Bald waren wir bei meinem damaligen Lieblingsthema: Warum sieht die sizilianische Flagge so aus, wie sie aussieht? Darauf er: Das ist ein Geheimnis. Ich musste lachen. Denn wäre es kein Geheimnis, dann hätte ich es schon herausgefunden. So unterhielten wir uns weiter und gingen irgendwann dazu über unsere Kommunikation durch Zeichnungen zu untermalen, manchmal übersetzte nun auch ein interessierter Zuhörer, dem er wohl vertraute. Irgendwann lief die Kommunikation nur noch über Zeichnungen und er entschlüsselte fließend uralte skandinavische Steinritzungen als Sternbilder. Da stutzte ich dann wirklich.

Mittlerweile wunderte man sich an den Nachbartischen, wie es denn möglich sein konnte, dass wir beiden uns so intensiv unterhalten könnten, denn das wir beide die andere Sprache nicht konnten war den Zuschauern schon nicht entgangen. Erklären konnte es sich niemand, nur damit, dass dieser Mann eben schon immer etwas anders war. Trotz seiner Andersartigkeit wurde er jedoch sehr gemocht und vor allem akzeptiert.

Zu späterer Stunde und nach einigen Flaschen Wein kamen wir dann noch einmal auf das Geheimnis von Sizilien zu sprechen. Er zeichnete einen Plan und sagte zu mir: Ich komme morgen um 15 Uhr und hole Dich ab, dann besuchen wir all diese Plätze und Du wirst verstehen, warum Sizilien sich für diese Flagge entschieden hat und Du wirst wissen, warum es ein Geheimnis bleiben soll. – Ich dachte mir, in Ordnung … und viel später gingen wir zu Bett.

Wer am nächsten Nachmittag nicht kam, war mein neuer Freund. Auch telefonisch war er nicht zu erreichen. Ich wartete auf ihn, ich wartete nur an der falschen Stelle. Ich hätte schlafen gehen sollen.

Das tat ich dann auch ziemlich früh und da war er plötzlich. Er kam sogar und holte mich mit seinem alten klapprigen Auto persönlich ab. Meine Freundin wollte er allerdings nicht mitnehmen. Wir fuhren zu allen Plätzen, die er vorher auf seinem Zettel skizziert hatte und er erklärte sie mir. Damals hatte ich noch nichts von Sizilien gesehen, außer eben Catania und den immer zu sehenden Ätna. – Es war eine wundervolle Reise in den Traumwelten und sie machte viel Spaß. Am kommenden Morgen wachte ich mit einem Lächeln auf und kannte das "Geheimnis", welches ich an dieser Stelle allerdings nicht verraten werde. Die Reiseroute stand ab diesem Zeitpunkt und ich durfte alle Orte anschließend in den kommenden Monaten persönlich kennenlernen. Sizilien birgt tatsächlich ein sehr mächtiges Geheimnis, ein sehr, sehr kraftvolles und gutes.

Als ich später nachfragte, wer dieser Mann denn eigentlich sei, bekam ich zur Antwort: Ein sehr netter Mensch, der leider in seinem Leben nichts auf die Reihe bekommt, aber er ist eben anders und beruflich kümmert er sich um die Entsorgung des Mülls, in einer Stadt mitten in Sizilien.

So kann das sein, wenn man unterwegs ist.

(2007)

ZeichnungPagePilgrim@troet.cafe 2023

 

Igor Warneck

Igor Warneck

Schreiben gehört seit meinem dreizehnten Lebensjahr zu mir. In der Zwischenzeit habe ich einige Bücher veröffentlicht, dann auch mal die Lust an dem Ganzen verloren und jetzt wiedergefunden.

Fotografie ist für mich das entdecken des Verborgenen, um es für meine Mitmenschen sichtbar und auffindbar zu machen.

Mein Ziel: Kreativität statt Rente – denn von der kann ich als lebenslang Selbständiger nichts erwarten. Dem Sozialstaat will ich nicht zur Last fallen und verzichte daher auf das was mir zustehen würde aus freien Stücken.

Lieber schreibe ich Texte für die Gemeinschaft – zur Unterhaltung, zum Nachdenken und gegen so manch alltäglichen Wahnsinn.

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